Forschungsschwerpunkte
In der Arbeitsgruppe Grammatik und Fachdidaktik forschen wir gemeinsam zu den übergreifenden Themenbereichen Sprachstruktur und Grammatik, Sprachvariation, Sprachgeschichte, Mehrsprachigkeit und Sprachdidaktik. Übergreifende zentrale Themen sind grammatische Variabilität und Sprachwandel in urban geprägten Varietäten des Deutschen und in Sprachkontaktsituationen, hier insbesondere in postmigrantischen Zusammenhängen (z.B. im Ruhrgebiet, in multiethnischen Stadtvierteln Berlins sowie bei Sprecher:innen des Heritage-Deutschen in Chile).
Grammatiktheoretische und formale Ansätze verbinden wir mit soziolinguistischen Perspektiven und Theorien, welche besonders die Bereiche soziale Indexikalität sowie language attitudes und beliefs in Bezug auf Varietäten des Deutschen, Variation, linguistische Repertoires und Mehrsprachigkeit erfassen.
Im Kontext von Schule und Unterricht untersuchen wir, wie die Ergebnisse der fachwissenschaftlichen Forschung in den Deutschunterricht, insbesondere in den Grammatikunterricht, getragen werden können. Weitere Forschungsthemen sind Sprachvariation und Mehrsprachigkeit im Deutsch- und Fachunterricht sowie Lehr-/Lerndiskurse und sprachliche Handlungsmuster in der institutionellen vs. nicht-institutionellen Kommunikation.
Zentral ist bei allen Forschungsvorhaben die Verbindung von Theorie und Empirie. Sämtliche Forschungsarbeiten fußen auf einer empirischen Basis. Wichtig ist uns dabei die Zusammenführung von einander ergänzenden Methoden, die von ‚klassischer‘ Feldforschung, Korpusanalysen, und soziolinguistischen Interviews bis zu psycholinguistischen Experimenten reichen.
GIP Dortmund–Genua–Shenzhen
Im Januar 2024 ist die vom DAAD geförderte trilaterale Germanistische Institutspartnerschaft „Mehrsprachigkeit in (post-)industriellen Metropolregionen“ gestartet.
Die Projektpartner der GIP sind das Institut für Sprache, Literatur und Kultur an der TU Dortmund, das Dipartimento di Lingue e Culture moderne an der Universität Genua und das Department Deutsch an der Technischen Universität Shenzhen.
Das Projekt blickt aus sprach-, literatur-, kultur- und medienwissenschaftlicher Perspektive auf mehrsprachige Gesellschaften in Metropolregionen mit industrieller Prägung (Montan- und Hafenindustrie im Ruhrgebiet bzw. in Genua; High-Tech- und Finanzindustrie in Shenzhen). Die beiden kulturell durch ihre industrielle Geschichte geprägten europäischen Regionen Ruhrgebiet und Genua in der Phase des postindustriellen Strukturwandels und die junge, rasant wachsende Tech-Metropole Shenzhen werden vergleichend-kontrastierend betrachtet. Einige Schwerpunkte sind: Sprachbiografien, Linguistic Landscapes, Mehrsprachigkeit in literarischer und künstlerischer Produktion. – Hieraus erwachsen nachhaltige Lehrprojekte und -materialien, die Elemente wie Forschendes Lernen und internationales Co-Teaching enthalten. Zu den Aktivitäten des Projekts gehören u.a. eine Sommerakademie an der TU Dortmund, Forschungsaufenthalte von Studierenden und Promovierenden an den Partneruniversitäten sowie DaF-Praktika.
Die erste Förderphase hat am 1. Januar 2024 begonnen und läuft für drei Jahre.
Hier gelangen Sie zur Homepage der Germanistischen Institutspartnerschaft Dortmund–Genua–Shenzhen.
Eine Übersicht über sämtliche Germanistischen Institutspartnerschaften sowie kurze Projektsteckbriefe sind auf den Webseiten des DAAD veröffentlicht.
Laufende Dissertationen und Habilitationen
Philipp Cirkel: Kasus im Ruhrdeutschen. Eine grammatische und soziolinguistische Analyse (Website)
Sandra Konitzer: Beliefs und Mehrsprachigkeit – Eine empirische Untersuchung zum Einfluss des Praxissemesters auf die Beliefs von Lehramtsstudierenden zum Thema Mehrsprachigkeit (Website)
(Betreuung gemeinsam mit Christian Reintjes, Universität Osnabrück)
Caroline Reher: Satzverknüpfung im Kontakt. Ein Vergleich des Chiledeutschen mit anderen extraterritorialen Varietäten des Deutschen (Website)
Amina Hallab: Formale Syntaxtheorie und Grammatikdidaktik (Habilitation) (Website)
Weitere laufende Forschungsprojekte
Gesprochene Sprache im Ruhrgebiet
Das Ruhrgebiet ist durch ein Kontinuum von standardnahen bis mehr oder weniger stark regiolektalen Sprechweisen geprägt. Zudem ist es seit jeher ein Ort von intensivem Sprachkontakt – die Kontaktsituationen reichen vom Aufeinandertreffen niederdeutscher und hochdeutscher Varietäten seit dem 16. Jahrhundert bis zur rezenteren und ganz aktuellen gesellschaftlichen Mehrsprachigkeit im Zuge binnendeutscher und globaler Migrationsprozesse. In diesem Projekt soll zum einen eine Bestandsaufnahme des heutigen sog. „Ruhrdeutschen“ erfolgen, zum anderen sollen linguistische Variablen identifiziert werden, die zur Konstruktion sozialer Identitäten dienen. Im Fokus stehen dabei vor allem morphosyntaktische und syntaktische Varianten und deren sozial-indexikalische Bedeutungen.
Derzeit laufen umfangreiche Datenerhebungen, die zu einem Korpus gesprochener Spontansprache im Ruhrgebiet führen sollen, das Aufnahmen in verschiedenen Sprachsituationen umfasst.
Publikationen:
Cirkel, Philipp & Ulrike Freywald. 2021. In Stadt und Stadt: Berlin und Ruhrgebiet im Vergleich. Linguistik online 110 (Themenheft „In Stadt und Land – Perspektiven variations- und soziolinguistischer Forschung“, hg. von Elisabeth Scherr und Arne Ziegler). 193-227. Online-Publikation
Cirkel, Philipp. 2023. Funktionale und formale Eigenschaften von der- und die-Artikelformen im Ruhrdeutschen. Eine korpusbasierte Analyse. Niederdeutsches Jahrbuch 146. 132-168.
Morphopragmatik: Morphologische Struktur und Gebrauch urbaner Toponyme
In diesem Forschungsvorhaben werden Namen – insbesondere inoffizielle Namen und Spitznamen – für Straßen, Plätze, Bahnhöfe und andere infrastrukturelle Orte im städtischen Raum untersucht. Zum einen ist hier nach den wortstrukturellen Mustern zu fragen, derer sich die Sprecher:innen bedienen (prominent sind z.B. verschiedenste Arten der Wortkürzung, wie in Görli, Alex, Kö, Steffl und Kudamm), zum anderen ist interessant, in welcher Weise die inoffiziellen Formen sozialindexikalisch verwendet und interpretiert werden.
Publikation:
Freywald, Ulrike & Damaris Nübling. 2020. Die Drake, die Bergmann und die Karl Marx: Straßennamen ohne Kopf oder: Zum Proprialisierungsschub urbaner Toponyme in Berlin. In Luise Kempf, Damaris Nübling & Mirjam Schmuck (eds.), Linguistik der Eigennamen. Berlin, Boston: De Gruyter (Linguistik – Impulse und Tendenzen 88). 289-309.
Reduplikation als morphologisches Verfahren im Deutschen
Das wortbildende Prinzip der Reduplikation gilt im Deutschen als nur marginal produktiv; bei näherem Hinsehen jedoch erweist es sich in bestimmten Nischen als sehr lebendig und hochproduktiv. Hierzu zählen neben produktiven Reim- und Ablautreduplikationen in Usernamen (vgl. Kentner 2017) auch vollständige Reduplikationen des Typs Freundfreund und sofortsofort sowie reduplizierte Inflektive, wie zwinkerzwinker oder freufreu. Diese Bildungen werfen eine Reihe von Fragen auf, z.B. zur Art des Wortbildungstyps (Subtyp der Komposition oder eigenes Wortbildungsmuster?) und zum Verhältnis von Strukturbedeutung und pragmatisch gestützter ad-hoc-Interpretation.
Publikationen:
Freywald, Ulrike. 2015. Total reduplication as a productive process in German. Studies in Language 39. 905-945.
Freywald, Ulrike & Rita Finkbeiner. 2018. Exact repetition or total reduplication? Exploring their boundaries in discourse and grammar. In Rita Finkbeiner & Ulrike Freywald (eds.), Exact Repetition in Grammar and Discourse. Berlin, Boston: De Gruyter Mouton (Trends in Linguistics. Studies and Monographs 323). 3-28.
Komplementiererverdopplung: Mehrfache Konjunktionen in verbfinalen Nebensätzen
Gegenstand dieses Projekts ist das vorrangig mündlich anzutreffende Phänomen der Verdopplung von Nebensatzkonjunktionen, wie in dem Satz: Die Spieler müssen vorne das Gefühl haben, dass, wenn ein Fehler passiert, dass dann hinten jemand ist. Diese zunächst unerwartete syntaktische Struktur wird daraufhin untersucht, wie funktionale Faktoren (z.B. Markierung informationsstruktureller Gegebenheiten) und Sprachverarbeitungsfaktoren (z.B. kognitive Entlastung) zusammenwirken.
Publikation:
Freywald, Ulrike. 2020. Notes on the left periphery of V2 complement clauses in German: Complementiser drop and complementiser doubling. In Horst Lohnstein & Antonios Tsiknakis (eds.), Verb Second – Grammar Internal and Grammar External Interfaces. Berlin, Boston: De Gruyter Mouton (Interface Explorations 34). 123-146.
Netzwerke
Abgeschlossenes Projekt
Integration of linguistic resources in highly diverse urban settings:
Stretching the limits of variability
Leitung: Heike Wiese (HU Berlin) und Ulrike Freywald (TU Dortmund)
Laufzeit: 2017 bis 2021
Diese Projekt war ein Teilprojekt des SFB 1287 Limits of Variability in Language an der Universität Potsdam während der ersten Förderphase dieses Sonderforschungsbereichs.
Inhalt
Das Projekt untersucht den mehrsprachigen Kontext eines urbanen Straßenmarktes, des Maybachufermarktes in Berlin-Neukölln, auf dem Sprecher:innen regelmäßig auf eine große Bandbreite sprachlicher Ressourcen zugreifen. Während bisherige Forschungen zu solchen Kontexten die charakteristische Diversität und Fluidität fokussierten, hebt unsere Untersuchung auf die Grenzen der Variabilität ab und wird von der Hypothese geleitet, dass die beobachtbare und mitunter chaotisch anmutende Variabilität keine Beliebigkeit etabliert, sondern durch systematische Muster und Restriktionen beschränkt wird.
In unserer Untersuchung zu Sprachstruktur, Sprachgebrauch und Spracheinstellungen kombinieren wir ethnographische und soziolinguistische Methoden mit grammatischer Analyse und theoretischer linguistischer Modellierung. Schwerpunkte sind die Struktur nichtkanonischer Formen in der NP/DP-Domäne, Klassifikatorkonstruktionen, der Gebrauch der Kopula, Codeswitching und sprachliche Identitätskonstruktionen, die unter anderem in Anredeformen reflektiert werden.
Die Datenbasis umfasst sowohl audiovisuelle Aufnahmen von Verkaufsinteraktionen als auch soziolinguistische Interviews und Fokusgruppeninterviews mit Verkäufer:innen und Besucher:innen auf dem Markt, Daten aus teilnehmender Beobachtung sowie Ergebnisse von Akzeptabilitätstests zu grammatischen Mustern. Neben Analysen zum Maybachufermarkt haben wir eine Pilotstudie zu vergleichbaren Mustern auf Straßenmärkten im Ruhrgebiet durchgeführt.
Homepage des Projekts an der Universität Potsdam: Projekt A01 im Cluster A "Limits of variability in language interaction and change" (1. Förderphase 2017-2021)
Dissertationen im Projekt:
Schumann, Kathleen. 2021. Der Fokusmarker ›so‹. Empirische Perspektiven auf Gebrauch und Verarbeitung eines Ausnahmeelements. Berlin, Boston: De Gruyter (Linguistik - Impulse und Tendenzen 93). Book URL
Yüksel, Serkan: Codeswitching als Herausforderung für die linguistische Modellierung: Eine Studie zum Sprachgebrauch im hochdiversen urbanen Raum (noch nicht abgeschlossen)
Duman Çakır, İrem: Social identity and belonging in multicultural interactions: linguistic ethnography of a weekly urban market (noch nicht abgeschlossen)