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Fakultät Kulturwissenschaften

50 Jahre Zettel's Traum

Beginn: Ende: Veranstaltungsort: Dortmunder U - Zentrum für Kunst und Kreativität Reinoldusraum
Veran­stal­tungs­art:
  • Seminare
  • Vorlesungen
  • Tagungen
  • Workshops
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Arno Schmidts Zettel’s Traum ist 50 geworden. Ein guter Grund, dieses notorisch

schwierige, selten gelesene, aber immer wieder gefeierte und zitierte ‚Werk‘ in die

Öffentlichkeit zu tragen. Als es 1970 erschien, war es ein Skandal und ein Erfolg. Die

einen feierten seine Experimentierfreude, die anderen verteufelten seine geistige

Freizügigkeit. Aber in einem war und ist man sich einig, bis heute: Zettel’s Traum ist

ein Dokument der deutschen Nachkriegskultur, Spiegel der intellektuellen Revolte

der 1960er Jahre, das sich zu studieren lohnt.

Worum geht es? In acht Büchern erzählt Arno Schmidt die 24 Stunden eines
Sommertages im Jahr 1968 in dem Dorf Ödingen in der Celler Ostheide. Zu Besuch
beim Schriftsteller Daniel Pagenstecher ist ein Ehepaar aus Lünen mit seiner 16-
jährigen Tochter. Sie wollen sich beraten über eine Neuausgabe der Werke Edgar
Allan Poes. Pagenstecher, Schmidt in vielem ähnlich, ist Experte für die deutsche
und englische Literatur seit dem 18. Jahrhundert, ein Besessener, der sein Leben
dem Schreiben opfert. In ausgiebigen Spaziergängen, im Wald und über die Heide,
erörtert man das Verhältnis von Literatur und Wirklichkeit, Gesellschaft und
Sexualität, das intrikate Ineinander von Traum und Ich. Besuche im Dorf und
ausgiebige Kaffeegespräche schließen sich an, bis Stück für Stück deutlich wird,
dass die Sprache die Wirklichkeit übernommen hat und das Denken und Leben
regiert.
Zettel’s Traum ist zugleich ein Buch über das Schreiben als Arbeit. Es umfasst 1334
dreispaltig mit Schreibmaschine geschriebene Seiten, ergänzt um Glossen und
Streichungen. Es kombiniert Maschinen- und Handschrift, um auf diese Weise die
Entstehung und die materialen Bedingungen der poetischen Produktion an der
Oberfläche zu zeigen und in die Tiefe der literarischen Reflexion zu tragen. Dafür
orientiert sich Schmidt an James Joyces Ulysses und Finnegans Wake, am
Expressionismus, der Psychoanalyse. In seinen radikalsten Passagen versucht
Zettels Traum sich so weit in die Architektur des menschlichen Gehirns und der
Seele zu schreiben, dass die Grenze zur Unlesbarkeit erreicht ist (was man Schmidt
immer wieder vorgeworfen hat). Dabei versucht Zettel’s Traum nur zu zeigen, wie
durchsetzt und gemischt ‚die Sprache‘ eigentlich ist, gekreuzt von zahlreichen
Nationalsprachen, Assoziationen, Grammatiken, Zeichenregeln (und deren
Verstößen), vom Sprechen und Schreiben. Etwa hier:
„& es stang tatsächlich=heran durch die Nacht, wie wenn Ich schonn ‚feuerde‘!;
loco=motivische reMembrances Meiner Kinder=FeerienReisn kamen mir ein . . .
(:zoo=phil im=Kopp!))“
Mit Beiträgen von Susanne Fischer (Bargfeld), Sabine Kyora (Oldenburg), Stefan
Mühlhofer (Dortmund), Peter Plener (Wien), Jan Philipp Reemtsma (Hamburg), Ralf
Simon (Basel).